Vorbericht:
- Schiedsrichterlegende Walter Eschweiler ist angesäuert. Bei den letzten großen Turnieren konnte er anlässlich seiner Audienzen beim Fußballgott immer eine gute Platzierung für das DFB-Team herausholen. Diesmal jedoch schien er versagt zu haben. Überhaupt war alles anders, als er am Tag des Finales den großen Raum mit dem Eingangsschild „FIFA-Mitglieder müssen leider draußen bleiben“ betrat.
- „Mein Gott, Walter! Finaaaaale, ohohoho. Heut‘ ist Finaaaale, ohohoho. Eschweiler, altes Schiedsrichtergestell‘, setz dich hin und greif dir ein Schnäpschen.“ „Eure Ballherrlichkeit sind gut gelaunt, so kenne ich Sie gar nicht, wenn ich das anmerken darf.“ „Mit gutem Grund“, setzte der Fußballgott an, „mir ist heute eine Auszeichnung ins Haus geflattert. Der HOLY FUCK Creative Football Design Award 2011 geht an…*trommelwirbel*… moi, meine und deine Heiligkeit! Diesmal habe ich alles richtig gemacht. Ich lese dir mal aus der Begründung der Jury vor, Walter.“ „Wenn es sich nicht vermeiden lässt, mein Gebieter.“
- „Eine gelungene Mischung aus althergebrachter Tradition, auf dem Fuße folgender Strafe, fröhlicher Unterhaltung, internationaler Härte, historischer Dimension und gewohnter Wankelmütigkeit zeichnete die Veranstaltung des diesjährigen Preisträgers aus. Das steht da, Walter, die meinen mich! Ich wusste gleich, es war eine gute Idee, die Engländer am Elfmeterpunkt versagen zu lassen. Das kommt einfach immer gut an, egal ob Frau oder Mann.“ „Mit fröhlicher Unterhaltung sind sicherlich die Schiedsrichterentscheidungen gemeint. Fand ich allerdings nicht so lustig, mein Herr.“ „Ach, Walter, sei mal nicht so spaßresistent. Ohne Fun geht doch heute im Abendprogramm einfach nix mehr. Und hier, meine Idee, das Zeitspiel und generelle Rumgeheule der Brasilianerinnen mit dem frühen Ausscheiden zu bestrafen, war auch ein Knaller. Hab ich eine saumäßige Menge SMS für bekommen und alle waren begeistert. Okay, in Brasilien sollen ein paar den Glauben verloren haben, aber nicht wirklich viele. Sind halt alles Machos da unten. Mal sehen, was ich 2014 mit denen anstelle. Da freu ich mich schon drauf.“
- „Den Nordkoreanerinnen Doping in den Reis zu mischen war aber nicht sehr fein, Hochballwürden“, warf Walter daraufhin ein. „Ach Quatsch, das ist internationale Härte, klares Feindbild, Axis-of-Evil-Gedöns, das brauchen die Amis.“ „Und das Ausscheiden der deutschen Frauen? Fand ich sehr doof, um ehrlich zu sein.“ „Ja, Walter, ohne Wankelmut kann ich mich direkt einsargen lassen, da nimmt mich doch sonst keiner mehr ernst! Zweimal Trizeweltmeister bei den Männern und drei Mal Weltmeister bei den Frauen? Das geht ja nun wirklich nicht. Dafür lesen Historiker im Weiterkommen von Japan schon eine Parallele zu 1954. Das Wundel von Flankfult! Nippons Sommelmälchen!“
- „Gewinnen die Japanerinnen denn nun auch das Finale, o Hüter von Ballhalla?“, will Eschweiler jetzt sanft drängend wissen. „Wäre fast fies, wenn nicht, gelle, Walter? Ich bin noch unentschlossen, habe aber extra deine Freundin, die Bibi, zur Schiedsrichterin bestellt, damit es keinen regeltechnischen Huddel gibt. Vielleicht lasse ich ja auch die Amis gewinnen und wenn sie dann nach Hause kommen, ist ihr Staat gerade dabei, bankrott zu gehen. Müsste ich freilich vorab mit dem Finanzgott besprechen, aber der düst ständig in Südeuropa rum, den kriegst du einfach nicht zu fassen.“
- „Sag mal, willst du nicht entscheiden, Walter?“, fragte der immer noch euphorische, aber entschlussgehemmt wirkende Fußballgott. „Ich mach das schon, o Eure runde Lederigkeit“, antwortete dieser verschmitzt. Und so geschah es, dass die Japanerinnen Weltmeister wurden, weil Bibiana Steinhaus scharfäugig einen Elfmeter zu ihren Gunsten pfiff, den die Kameras erst in der dritten Zeitlupenwiederholung bestätigen konnten. Die Ehre der Schiedsrichterzunft ward wiederhergestellt, Deutschland gefeiert als die edelmütige Nation, die dem geschundenen Asiatenvolk den Vortritt überließ und Walter gönnte sich endlich das Schnäpschen aus feinsten Süßkartoffeln namens Shochu, das er beim Fußballgott hatte mitgehen lassen.
Nachbericht:
- Ich setze mein breitestes Grinsen auf und male mir einen roten Punkt ins Gesicht: Die kleinsten Frauen sind die Größten, die Geilsten und die Besten im Frauenfußball obendrauf! Was für ein Spiel, was für eine Dramatik. 120 Minuten plus Elfmeterschießen, gekrönt von dieser einen Erkenntnis, die den Fußball so wunderschön macht. Du brauchst nicht baumlang zu sein, du brauchst nicht muskelbepackt zu sein, du brauchst nicht am höchsten springen zu können, du brauchst nicht jeden Gegner in Grund und Boden zu laufen, um am Ende bei diesem Sport zu triumphieren. Danke Japan, für den großartigen Abschluss dieses Turniers.
- Die Nationalhymnen gaben ein wenig den Takt vor für die ersten 25 Minuten. Während die japanische Auswahl andächtig und in sich gekehrt einer getragenen Melodie lauschte, brannten die Amerikanerinnen zu ihrem „Hoppla, da sind wir“-Heimatlied innerlich alles nieder. Chance um Chance erdrücken sich die US-Damen, beginnend nach wenigen Sekunden und erst so Mitte der ersten Hälfte endend. Cheney, Wambach, Rapinoe wirbeln Frauen und Spielgerät durcheinander. Just als die Asiatinnen langsam ins Spiel finden, zieht Wambach einen Knaller ab Richtung Torwinkel. Für mich war der schon drin, aber die Latte hält wacker dagegen. Halbzeit.
- Es ähnelt nun langsam ein bisschen Deutschland – Japan, denn die Blauen klären die Angriffsversuche souveräner, wagen sich auch einmal nach vorne. Aber es ergeben sich weiterhin riesige Chancen für die USA, doch der Ball will nicht über die Linie. Bis die Frau mit dem rosa BH den Unterschied zu bringen scheint. Ausgerechnet einen Konter schließt die eingewechselte Alex Morgan mit einem hart geschossenen Aufsetzer ab. Das müsste es wohl gewesen sein. USA all the way und so.
- Aber nicht doch. Und hier kommt das Putzige an der japanischen Spielweise zutage. Die sind so bescheiden, dass sie selbst nicht in Führung gehen wollen. Liegen sie aber hinten, spielen sie reinsten Spock-Fußball: „Captain, wir liegen zurück, also diktiert die Logik, dass wir ein Tor erzielen müssen“. Schwupp, huschen die kleinen Rackerinnen nach vorne. Was die Amis so verwirrt, dass sie sich in Form von Buehler und Krieger im eigenen Strafraum vor Verzweiflung selbst abschießen und „Manni“ Miyama nur noch reinhauen muss. 81. Minute, es steht 1:1. Ich halte jetzt endgültig zu den Japanerinnen, die plötzlich ein paar Minuten frech auf die Entscheidung zielen und ihr Spiel Richtung US-Tor verlagern. Im Gegenzug schnüren die Amerikanerinnen sie nochmals ein, aber die Verlängerung ist nicht zu verhindern.
- Kriegen die Amerikanerinnen nun die große Krise? Nein, denn Abby Wambach, die Stürmerin, der wir wohl alle das goldene Tor zugetraut haben, köpft krachledern und humorlos eine Flanke rein. 103. Spielminute, Zeit zum Verzweifeln, zum Aufgeben, möchte man meinen. Aber nicht mit den kleinen japanischen Rasenrobotern. Kurz das Torwärtsprogramm initialisiert und auf geht’s in die Hälfte des Gegners. Wo die Verteidigung sich schnell wieder die Fingernägel wegkaut, angefangen von Rampone über Krieger hin zu Hope Solo höchstselbst.
- Es schlägt die Sekunde der weisen Frau Sawa. Nach einer Ecke bugsiert sie den Ball über die Linie, als wäre es ein Leichtes, einen Rückstand in einem WM-Finale(!) in der Verlängerung(!) aufzuholen. In dem Moment hätte ich als Amerikaner wirklich den Glauben an dieses Spiel verloren, denn wo die einen sich abackern, legen die anderen lässig nach. Es ist, als hätte man die Geschichte von Hase und Igel auf dem Rasen aufgeführt.
- Im Elfmeterschießen liegen die Nerven schließlich endgültig blank bei den Titelaspirantinnen aus den US of A. Die kleine Kaihori hält den ersten Strafstoß gegen Boxx, Lloyd schießt Richtung Tribüne. Solo tut ihr Möglichstes, aber ihre Kolleginnen legen beinahe englische Kompetenz am Punkt offen. Die #4 der Japanerinnen, Kumagai, zerstört schließlich den amerikanischen Traum mit einem Hieb oben in den Winkel. Japan ist Weltmeister. Amerika am Boden. Sachen gibt’s, die gibt’s nur im Fußball. Homore Sawa holt alle von der FIFA ausgelobten Titel, den der Torschützenkönigin inklusive. Das japanische Team feiert, die neutralen Zuschauer mit ihm. Und ganz am Ende bleibt die Pointe, dass diese Mannschaft nur von den Engländerinnen geschlagen werden konnte. Auf der Insel wird man und frau sich ärgern. Der Fußballgott hatte wieder seinen Spaß.
- Das war die Berichterstattung des unfassbar kompetenzfreien WM-Tagebuchs zur Frauenfußball-Weltmeisterschaft. Meinen Dank an alle treuen Leserinnen und Leser, die Fans auf Facebook, die fleißigen Twitterer, Verlinker und flattr-Spender. Wir lesen uns hoffentlich 2014 wieder! Zum Ausklang und als Rausschmeisser habe ich wie gehabt ein Lied ausgesucht, diesmal eines aus dem Land der Trizeweltmeisterinnen aus Schweden: In Flames – Liberation [auf Grooveshark anhören] / [auf Facebook anhören]. Um schließlich die Gefühlswelt der Amerikanerinnen anzusprechen und wenigstens einen Song hier drinnen einbinden zu können, noch obendrauf Alkaline Trio mit „The American Scream“ aus dem frisch erschienenen Album „Damnesia“.