Vorbericht:
- Norio Sasaki ist ein lustiger Mensch. Der Trainer der japanischen Frauennationalmannschaft gab jüngst hinsichtlich der körperlichen Unterlegenheit seiner Elf zu Protokoll: „Ich habe ihnen beim Mittagessen gesagt, sie sollen ordentlich zuschlagen. Damit sie stark werden und vielleicht noch wachsen.“ Super Sache, wenn jemand jetzt für mich schon die ganzen dummen Witze übernimmt. Wer weiß, vielleicht hängt bei der Nadeshiko genannten Landesauswahl das Kopfballpendel mittlerweile bereits in einer Höhe von 1,75 m.
- Flach spielen, hoch gewinnen, lautet eine alte Fußballweisheit. Und wenn jemand weise ist, dann ja wohl der Japaner, der sich geschlechtsübergreifend dementsprechend daran und die Kugel knapp über der Grasnarbe hält. Unterschätzen darf man sie allerdings nicht, die Töchter Nippons. Lässt man ihnen den Raum, kombinieren sie die gegnerische Verteidigung ins Koma, die Flanken von „Manni“ Miyama sind hochgefährlich und eine Japanerin anlässlich eines Freistoßes alleine mit dem Ball zu lassen, ist so töricht wie das Stehenlassen eines Beines bei einem heranstürmenden Italiener im Strafraum.
- Soll die Taktik nun also sein, ordentlich dazwischenzugehen, alles weit vor dem Sechzehner wegzugrätschen und am Ende durch ein offensichtliches Kopfballtor von Kerstin Garefrekes oder Simone Laudehr mit 1:0 zu gewinnen? Oder gar die putzige japanische Torfrau dreckig, fies und gemein mit einem Lupfer bloßzustellen, wie es die Engländerinnen getan haben? Nein, nein und nochmals nein. Dann wäre nämlich das Bild vom häßlichen Deutschen wieder präsent, der am Ende dank eines groß gewachsenen Schlussmanns und einer einzigen gut und hoch hereingeschälten Flanke auf einen Oliver Bierhoff-Klon den Sieg davonträgt, während der geknickte Gegner in sein erdbebenkaputtes und teilverstrahltes Land zurückreisen muss. „Buhu, Deutschland, schämt euch, nehmt es doch mit Leuten eurer Größe auf“, höre ich die internationale Reporterschar aufschreien. Allen voran wahrscheinlich die Engländer.
- Mein Vorschlag daher: die Japanerinnen auch mal schießen lassen. So aus 25 Metern, das dürfte für unsere Nadine Angerer kein Problem darstellen. Eine gute Kombination mit einem Schuss unten die Ecke abschließen, danach die Gegnerinnen anrennen lassen, vielleicht noch einen Konter zum 2:0 setzen und nach Schlusspfiff die tolle Leistung der Asiatinnen in den Himmel loben. Die dann hocherhobenen Hauptes und ohne Gesichtsverlust nach Hause fahren dürfen. Sollte das nicht klappen, ab der Verlängerung halt nur noch hohe Flanken in den Strafraum hobeln. In der Liebe, im Krieg und in den zusätzlichen 2x 15 Minuten während einer WM ist schließlich alles erlaubt.
- Auch schön wäre die Entscheidung durch ein Tor der eingewechselten Birgit Prinz, wenn man das so hindrehen könnte. Die hat bekanntlich mit ihrem offenen und ehrlichen Auftritt bei der Pressekonferenz am Donnerstag viele Sympathien geerntet. In dieser Mannschaft ähnelt nun mal keine Spielerin im Auftreten einem Michael Ballack. Außer vielleicht Celia Okoyino „Klopfer“ da Mbabi. Aber nur, wenn sie lacht. Und da kann sie ja nichts für.
- Melanie Behringer wird spielen und uns spätestens im Finale alle retten. Das hat mir meine Hausspinne Thekla so orakelt. Kann sein, dass ich mir das auch eingeredet habe. Jedenfalls vertraue ich ihr mehr als irgendwelchen Elefantendamen oder weiblichen Kraken. Wie auch immer: Das Ding kann also praktisch gar nicht schiefgehen. Auf ins Halbfinale, Mädels!
Nachbericht:
- Frauofrauofrauofrau, das kann doch nicht wahr sein. Wir sind draußen. Im Viertelfinale. Gegen Japan. Bei der Heim-WM. Da kriegst du die Krise, wenn du sie nicht schon hast. Das letzte Mal, dass ich so etwas durchmachen musste, war 1994. Kopfball Yordan Letchkov. 1:2 gegen Bulgarien. Aber das hier ist noch eine ganze Schippe schlimmer.
- Ein Lob muss man den tapferen Japanerinnen aussprechen. Wo der Ball auch hinkam, stand eine von denen bereit, um ihn wegzukicken. Müde werden die wohl auch erst, wenn sie im Mannschaftsbus sitzen. Aber das wusste man doch vorher schon. Trotzdem gelang es faktisch nie, diesen Gegner unter Druck zu setzen, zu Fehlern zu zwingen, von mir aus auch den Kopf mal frei an den Ball zu bekommen. Das war einfach zu wenig. Ich kann jetzt nicht mit Statistiken um mich werfen, aber die Momente, wo das japanische Tor in Gefahr war, konnte man an etwa zwei Fingern abzählen.
- Auf meinem Notizblock stehen nur Plattitüden. Deutschland drückend, aber nicht zwingend. Garefrekes kommt nach einer Flanke von Behringer nicht tief genug mit dem Kopf runter. Laudehr kriegt einen Ball Richtung Tor, doch er wird vor der Linie geklärt. Japan vorne gefährlich wie eine Plastiktasse voll Reis. Einmal kommen sie durch, aber Nagasoto verzieht deutlich. Auf der anderen Seite flankt und flankt Behringer, aber es passiert nichts. Fast will man selbst mal in eine Hereingabe reinspringen, so schwer kann das doch nicht sein.
- So geht es Minute um Minute weiter, die erste Hälfte vergeht, die zweite folgt ihr, es beginnt die Verlängerung. Kleinkriegen ist bei den Japanerinnen nicht im Wortschatz, totlaufen ebensowenig. Die setzen darauf, dass die Deutschen irgendwann die Lust verlieren. Ich diskutiere mit meinem Bruder schon die Chancen im Elfmeterschießen. Motto: Techniker verschießen immer. Also noch Hoffnung. Grings verzieht derweil aus einer richtig guten Schussposition.
- Nachspielzeit 1. Hälfte der Verlängerung. Angerer sieht bei einer Hereingabe nicht gut aus. Oh-Oh. Knapp drei Minuten später das 0:1. Pass nach außen, Maruyama setzt sich im Laufduell durch und schiebt ins lange Eck. Angerer macht nur die kurze Ecke zu und sieht nicht gut aus. Keine Ahnung, ob sie hätte rankommen können, wenn sie auf die lange Ecke gegangen wäre, aber es wirkt unglücklich. Bruder winkt schon ab mit dem Zitat: „Frauenfußball ist eben doch scheiße, da ärgere ich mich lieber über Männer“.
- Noch 10 Minuten. Wo ist die Brechstange? Ich kann Behringer keine Flanken mehr schlagen sehen, die soll mal etwas anderes machen. Tut sie, ein guter Schuss, aber Kaihori faustet ihn weg. So muss es doch gehen. Stattdessen weiter Flanken, die zurückkommen und wieder reingeschaufelt werden. Ein Kopfball von Klopfer, zu hoch angesetzt. Dann der Abpfiff. Vorbei das Sommermärchen. Mädels, das war einfach zu wenig. Wenn man einen Gegner wie Japan, den man hinten körperlich gut im Griff hat, vorne nicht in Verlegenheit bringen kann, sei es spielerisch, sei es über den Kampf, dann hat man im Halbfinale nichts zu suchen. Hart, aber wahr. Den Frauenfußball in Deutschland dürfte diese Nummer auf einige Zeit hinaus nach hinten geworfen haben.
- Ich glaube, über die Partien morgen werde ich eher wenig schreiben. Über Australien gegen Schweden wahrscheinlich nur „Mir doch egal“. Aber das Turnier geht weiter, das WM-Tagebuch auch. Meine Sympathien gehören jetzt den Französinnen. Die gewinnen gegen England im Elfmeterschießen. Da ist die Welt noch in Ordnung.